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siehe Bildunterschrift

Ludwig Uhland. Abbildung aus »Die Gartenlaube«, 1887

Ludwig Uhland.

L. Uhland. Sein Leben und seine Dichtungen etc. von Fr. Notter (Stuttgart, 1863). L. Uhland, eine Gabe für Freunde. Zum 26. April 1865. Als Handschrift gedruckt. Unsere Zeit, 74. Heft. (Brockhaus in Leipzig, 1863). K. Mayer: L. Uhland, Gedenkblätter. (Tübingen, 1863.) Fr. Vischers Kritische Gänge. IV. Heft.


Neben das Lebensbild von Nikolaus Lenau stellen wir das von Ludwig Uhland. Beide waren Zeitgenossen, kamen miteinander in freundliche persönliche Berührung, aber zu einer innigeren Freundschaft kam es zwischen beiden Dichtern nicht, mit so warmer Verehrung auch Lenau an Uhland hing, ja verehrungsvoll zu ihm aufblickte. Die Grundlagen und Grundrichtungen ihres Wesens waren zu verschieden. Lenau's Natur verhält sich zu der Uhland'schen wie die Verneinung zur Bejahung, wie das Flüssige zum Festen, das Exzentrische zum Konzentrischen. Jener war in stetem Ringkampf der Gefühle, der Stimmung hingegeben und in ihr schwelgend. Diese Richtung des Gemüthslebens erschien Uhland als eine krankhafte und sie widerstrebte seinem ganzen Wesen. Kein Dichter übte so streng wie Uhland die Selbstentäußerung, keiner war so frei von seinem subjektiven Ich. Darum konnte ihn aber auch kein Affekt, keine Stimmung hinnehmen, oder gar aus dem Gleichgewicht bringen. Er behielt die innere Ruhe auch in den aufregendsten Momenten und gleich dem Metall, das auch in warmer Luft sich kühl anfühlen läßt, bewahrte er stets eine gewisse Kühle. Lenau's Wesen war durch und durch affektvoll, pathetisch; sein Gemüthsleben bewegte sich in Gegensätzen von höchster Gluth und tiefster Kälte. Von dieser Wellenbewegung der Gefühle war Uhlands trockene Natur frei. Lenau fühlte sich nirgends recht wohl und heimisch, er war mit der Gegenwart unzufrieden, ohne Glauben an die Vergangenheit und Zukunft. Abgestoßen von den unfertigen Zuständen in Staat, Kirche, Gesellschaft, voll idealen Strebens und ohne allen praktischen Sinn und Geschick, das Leben an Einem Punkte festzuhalten und dort den Hebel anzusetzen, flüchtete er sich in die Arme der Natur, um an ihrem Busen zu erwarmen und das vom Zweifel geplagte, von ungestillter Sehnsucht und unbefriedigter Hoffnung gedrückte Herz zur Ruhe zu bringen. Lenau's Gemüth war ebenso tief als offen und ehrlich, es war fern von Heine'scher Eitelkeit und Oberflächlichkeit, die mit dem Schmerze nur liebäugelt und Seelenleiden erdichtet, um pikante Dichterstoffe zu gewinnen. Lenau empfand den Schmerz des verlorenen Gleichgewichts im Innersten der Seele, er kämpfte und rieb sich in diesem Kampfe auf. So dichtete er nichts, was er nicht innerlich erlebt und empfunden hatte; der Schmerz hat wie jeder tiefere Affekt eine Poesie und Beredsamkeit, die uns mit wunderbarer Magie in Lenau's Dichtungen fesselt und anzieht. Die Melancholie und Schwermuth wirkt mit den düsteren Farben, die sie in ihre Bilder bringt, noch ergreifender, als der helle Farbenton der Freude und Heiterkeit. Lenau macht die Natur zur mitfühlenden treuen Freundin, die an allen seinen Leiden und Freuden Antheil nimmt und auf deren Antlitz sich die Stimmungen und Kämpfe, die Affekte und Leidenschaften, die Gefühle und Gedanken des Sängers mit energischer Macht poetischer Belebung abspiegeln. Diese gewaltige und kühne Bilderschrift, diese großartige Natursymbolik, diese Kraft poetischen Ausdruckes einer stürmisch bewegten Gefühlswelt, diese hoch und sprühend wie eine Rakete aufsteigenden Feuerfunken, die noch im Zersprühen uns mit ihrem magischen Glanze entzücken, aber dann auch den dunkeln Himmel, der ihren Hintergrund bildete, um so schwärzer erscheinen lassen – sie fehlen der Uhland'schen Poesie, die auch da, wo sie Todes- und Trübsalsszenen vor uns hinstellt, ihre stille, geruhige, epische Heiterkeit nicht verleugnet. Sie hat kein unheimlich drohendes Wetterleuchten, keine zuckenden Blitze und erschütternden Donnerschläge, wohl aber den linden lauen Frühlingstag und den sonnigen mildklaren Herbsthimmel, dessen heitere Bläue auch über dem fallenden farbigen Laub des Waldes so wohlthuend sich abhebt. Sie hat nicht die Fülle und Mannigfaltigkeit Lenau'scher Naturbilder, führt uns nicht auf das sturmgepeitschte Meer oder in den amerikanischen Urwald, zu den Wasserfällen des Niagara oder auf die ungarische Pußta in die einsame Schenke; sie bleibt zumeist im schwäbischen Lande mit seinen lieblichen Thälern und Höhen und ist da vollkommen zu Hause. Sie enteilt zwar auch gern der Gegenwart, folgt einem romantischen Zuge, indem sie an der Hand der alten Heldensage wandelt, zu den Rittern und Edelfrauen, Burgen und Kapellen des Mittelalters wallfahrtet und im Sinn und Geist eines Walther von der Vogelweide Minnelieder singt. Immer aber ist sie besonnen und klar, frisch und gesund, hält sich zurück von aller Trunkenheit des Gefühls und der Phantasie; sie hat allen Weltschmerz und alle Europamüdigkeit abgethan, weil sie ihr »Daheim« gefunden hat, im eigenen Wesen fest und sicher gegründet ist.

In Lenau kämpfte der feurige Ungar mit dem gemüthlichen Deutschen; er konnte sich nicht in enge häusliche Verhältnisse finden, strebte hinaus in's Weite, Unbegrenzte und war doch wieder zu sehr Gemüthsmensch, um an dem unsteten Leben sich genügen zu lassen. Ein österreichischer Lebemann und nicht ohne Hang zum Genuß nahm er doch zugleich den lebendigsten Antheil an deutscher Geistesarbeit, aber zur festen Begrenzung eines bestimmten Feldes, auf dem er – wie es Uhland that – seine Arbeit zusammengefaßt hätte, konnte er sich nicht entschließen. Geistreich und ohne Berufsstellung hatte er um so mehr das Bedürfniß geselliger Unterhaltung, und in aristokratischer Leichtigkeit des Umgangs wußte er seine interessante Persönlichkeit geltend zu machen. Diese bildete auch überall, wohin er kam, nicht bloß ein belebendes Element für die Geselligkeit, sondern den Mittelpunkt derselben.

Bei Uhland das Gegentheil. Er hatte in seiner äußeren Erscheinung etwas so durchaus Einfaches, fast möchte man sagen Spießbürgerliches, daß ihm auf seiner Reise ein alter Mann, der sich etwas darauf zu Gute that, den Leuten schon an ihrem Aeußeren den Stand und Beruf ansehen zu können, erklärte: Ein Gelehrter sind Sie nicht, ein Kaufmann auch nicht, wohl aber ein Handwerker und wahrscheinlich ein Uhrmacher! Doch die ruhige Festigkeit, die ebenso anspruchslose als selbstbewußte Kraft und Ausdauer in gewohnter Thätigkeit sieht man den streng in ihre Form geschlossenen Zügen des Uhland'schen Gesichtes sogleich an; die hohe Stirn zeigt den Denker, das etwas zusammengekniffene Auge (auf den Bildern aus späterer Zeit), den scharf seinen Gegenstand in der Nähe haltenden Blick, dem das Kleinste nicht entgeht, sobald er es seiner Forschung unterwirft. Den Kopf etwas aufgeworfen, den Nacken fest, mit langen Schritten einherschreitend verrieth sich schon im Gange der sicher und fest auftretende Mann, der da wußte, was er wollte und es hartnäckig durchzuführen entschlossen war. Und doch hatte seine Haltung durchaus nichts Herausforderndes – es fehlte ihr nicht, wie auch dem beim ersten Anblick hart und scharf erscheinenden Antlitz, an einer gewissen Weichheit und Milde. Die Leichtigkeit aber im Umgange, durch offenherzige Mittheilung, das beredte Wort der Rede ging Uhlanden ab. Er war schweigsam, hörte gern Anderen zu, ermunterte sie aber nicht durch sein Entgegenkommen. Selbst gegen die besten Freunde zeigte er sich mitunter verschlossen und wortkarg.

Er war mit Leib und Seele Schwabe, doch ohne allen Partikularismus; denn er war von ganzem Herzen auch ein Deutscher, der in seiner Wirksamkeit für das engere Vaterland das weitere größere Deutschland nicht hintenansetzte. Ein Mann des Rechts kämpfte er als württembergischer Landtagsabgeordneter wie als Mitglied des Frankfurter Parlaments mannhaft für die Rechte des Volks, wie er als Gelehrter die Sitten und Rechte des Volkes in Sage und Sang erforschte und als Dichter die Rechte des Volksliedes vertrat und die Weise desselben in seinen besten Liedern wiederklingen ließ. Ihm, der höchst schlichten und zugleich höchst energisch in sich zusammengesetzten Schwabennatur gelang, was den begabtesten Dichtern der Romantiker, ja keinem der Mitstrebenden gelingen wollte: eine den Kern der Nation durchdringende Wirkung zu üben und ein Liebling des sanglustigen deutschen Volkes zu werden. Wie er im geselligen Verkehr mit seiner Persönlichkeit ganz zurücktrat und nur dem Gegenstande, über den gesprochen und verhandelt wurde, sich hingab: so waren auch seine Lieder ganz gegenständlich, gleich dem Volkslied im Namen und aus der Seele Aller gesprochen – die dichterische Persönlichkeit tritt in ihnen ganz zurück. In Lenau's Gedichten werden wir stets an den eigenthümlich gestimmten, mit seinem Gemüthszustand beschäftigten, die Natur auf diese oder jene geistreiche Weise erfassenden Dichter erinnert, und selbst Göthe's Lieder, so herzgewinnend sie in der Natürlichkeit und Innigkeit des Volksliedes zu uns reden, sind doch so sehr Ausdruck Göthe'scher Herzensregungen und Stimmungen, daß sie nie in dem Maße populär werden können, wie es Uhlands Lieder geworden sind, die in Kreutzers vortrefflicher Komposition den Kern unseres Volksgesanges, insbesondere des Männer-Quartetts unserer Liedertafeln bilden. Uhlands Lieder, wie »Ich hatt' einen Kameraden« oder »Es ritten drei Jäger wohl auf die Birsch« oder »Bei einem Wirthe wundermild« werden schon vom neunjährigen Knaben mit Lust gelesen und gesungen; seine Sagen- und Heldenlieder von Siegfried dem Starken, Roland dem Kühnen sind dem deutschen Knaben längst vertraut und stehen in allen Lesebüchern. Die köstlichen Rhapsodien von Eberhard dem Rauschebart, dem engeren schwäbischen Vaterlande entnommen, stellen uns das Leben der Väter in so großen einfachen Zügen dar, daß Alt und Jung in gleicher Weise daran sich labt und darin ebenso das Urbild deutscher Kraft und Tüchtigkeit, deutscher Treue und Biederkeit erkennt, wie in den Bildern schwäbischer Thäler und Berge, Ruinen und Kapellen, die uns Uhlands Lieder zu Gemüthe führen, die Natur deutschen Landes und Lebens auf das Lieblichste erscheint.

So ist bei Uhland Alles aus Einem Guß und in charaktervoller Harmonie: der Mensch und der Dichter, der Gelehrte und der Mann des Volks, der Württemberger und der Deutsche. Gleich den Romantikern mit Vorliebe dem Mittelalter zugewandt, verlor er doch nie die Gegenwart über der Vergangenheit, das Nahe über dem Fernen. Berühren manche alterthümliche Sprachformen und Wendungen, wie »ein Schloß lustsam«, »lieb Bruder mein«, »Tuch zur Wat«, »Das war Jungfrau Sieglinde, die wollte früh aufstehn« etc. etwas hart und seltsam unser nicht mehr daran gewöhntes Ohr: so erscheint uns doch fast Alles, trotz dem alterthümlichen Kleide, so natürlich und ungezwungen, daß wir in der poetischen Welt Uhlands bald heimisch werden und es uns zu Muthe wird, wie etwa, wenn wir das liebe Nürnberg oder altschwäbische Reichsstädte betreten und mit Ueberraschung deren Ecken und Erker, Thürmchen und Guckfenster gewahren. Der Gegensatz zum modernen Kasernenstyl wie zum Palaststyl romanischer Baukunst ist fühlbar genug, aber es heimelt uns doch Alles an in dieser echt bürgerlichen, gemüthlichen und ehrenfesten Bauart, die wie ein Stück unseres alten Volkslebens mit seiner Bürgertugend lebendig vor uns hintritt und von der guten alten Zeit erzählt, in welcher zuletzt doch unser ganzes gegenwärtiges Leben wurzelt.

Uhland hat auch die glühenden Farben und süßen Töne der südlichen Romanze wie den strengen kurz abspringenden Styl der nordischen Ballade; aber in seinem Sängermunde klingt doch Alles heimathlich deutsch, das Eine wird milder und inniger, das Andere klarer und heller. Welche poetische Tiefe und Kraft im einfachen deutschen Liede verborgen liegt, das hat kein Dichter so zur Anschauung gebracht, wie Uhland. Er hat aber auch all' sein Sinnen und Trachten von Anbeginn auf diesen Einen Punkt konzentrirt, im kleinsten Kreise die größte Kraft gesammelt. Schon im Jahre 1812 schrieb er an den für die Dichtformen des Südens eingenommenen Graf von Löben: »Ihre bilderreiche Sprache mahnt an die Spanier, aber dürfen wir jemals mit diesen um den Preis der Phantasie in die Schranken treten? Phantasie ist das Element der spanischen Poesie, Gemüth das der deutschen; dem ewig zuströmenden Bilderreichthum geziemt die Pracht der Rede, je voller der Strom, um so höhere Wellen schlägt er. Das Gemüth aber liebt die unmittelbarsten Laute und weiß das einfachste Wort zu beleben. – Es ist ein treffliches altes Sprichwort: » Schlicht Wort und gut Gemüth, ist das echte deutsche Lied.« Damit hat der Dichter seine eigene Kunst so kurz und treffend als irgend möglich charakterisirt. Und am Abend seines Lebens sprach er sich noch in gleicher Weise über seine poetische Richtung also aus: »Für eine Poesie für sich, vom Volke abgewendet, die nur die individuellen Empfindungen ausspricht, habe ich nie Sinn gehabt. Im Volke mußte es wurzeln, in seinen Sitten, seiner Religion, was mich anziehen sollte. Schon von meiner Knabenzeit an habe ich die Poesie so gefaßt. Als Student habe ich meine Freunde in unserem Sonntagsblatt mit den Nibelungen bekannt gemacht, als noch keiner von ihnen etwas davon wußte. In Paris habe ich den Aufsatz »über das altfranzösische Epos« geschrieben. Eigentlich ist es ein deutsches Epos aus Karls des Großen Zeit. Fünfzehn Jahre, nachdem ich den Aufsatz geschrieben Er wurde mehrfach umgeschrieben und durchgearbeitet., wurde er hervorgezogen und anerkannt. Gedichte, deren Existenz ich ahnte, wurden dann aufgefunden.«

Nun zum Lebensgange des Dichters!

Im Gegensatz zu den lockeren Familienverhältnissen Lenau's, die ganz danach angethan waren, schon die Seele des Kindes aus dem Gleichgewicht zu bringen, ward Uhland in einer soliden Bürgerfamilie geboren, in welcher altschwäbische Tüchtigkeit, Ehrenfestigkeit und Frömmigkeit ererbte Sitte war. Johann Ludwig Uhland kam am 26. April 1787 in Tübingen, der freundlich am Neckar gelegenen Universitätsstadt, zur Welt. Sein Vater bekleidete daselbst die Stelle eines Universitäts-Sekretärs: er war ein ernster Mann, pünktlich und streng in seiner Berufsarbeit, trocken und gemessen in seinem Wesen, doch voll liebreicher Sorgfalt für die Seinen. Die Mutter Uhlands war eine schlichte thätige Hausfrau, ein redliches frommes Gemüth. Der Ureltervater Uhlands hatte als Quartiermeister den Türkenkrieg mitgemacht und bei der Einnahme von Belgrad 1688 durch Max Emanuel von Baiern einen türkischen Pascha niedergehauen. Zur Erinnerung an diese That ließ er dann über die Thür seines Wohnhauses einen Arm mit einem Türkensäbel und darunter die Anfangsbuchstaben seines Namens in Stein hauen. Der tapfere, ritterliche Sinn des zwar kleinen, aber körperlich gewandten und starken Ludwig Uhland mag durch die Anschauung eines solchen Bildes nicht wenig genährt worden sein; die Dichterseele fand also schon in der Familienüberlieferung Anregung zu poetischer Darstellung von Heldenmären, wie »Schwäbische Kunde«, in denen tüchtige Schwabenstreiche geführt werden. Auch die ersten Eindrücke vom Soldatenleben, welche der Knabe in Rottenburg empfing, welche Stadt damals zu Oesterreich gehörte – der gute Vater nahm ihn zuweilen dorthin mit sich – waren sehr anregend. Mit gespannter Aufmerksamkeit schauete der Knabe die Ungarn und Kroaten in ihrer fremdartigen Bekleidung und Bewaffnung und mit nicht geringerem Staunen die Feier des katholischen Fronleichnamsfestes, – die blumengeschmückten Altäre auf der Straße, die Fahnen und Heiligenbilder, die glänzenden Gewänder der Priester, die brennenden Kerzen und die goldene Monstranz. Als die französische Revolution ausbrach, kamen auch nach Tübingen fremde Kriegsmänner; abwechselnd Franzosen und Oesterreicher in großen Schaaren. Wenn die Knaben in ihren Spielen dann auch Oesterreicher und Franzosen gegeneinander führten, stellte sich Uhland immer auf die Seite der Oesterreicher.

An Balgereien fehlt es bei gesunden Knaben nicht. Uhland nahm es auch mit größeren und älteren Kameraden auf. Sein älterer Bruder Friedrich, der schon im zehnten Lebensjahre durch ein Scharlachfieber dahingerafft wurde, war ein schönes und feines Kind, bei den Verwandten viel beliebter als der ziemlich rauhe und linkische Ludwig, so daß, wenn beide Brüder zusammen einen Besuch machten, es dann gewöhnlich hieß: »Grüß Gott, lieber Fritz, es ist schön, daß du zu uns kommst!« und dann viel gedämpfter und tiefer: »so, Louis, du kommst auch mit!« Die Schönheit war freilich des jüngeren Ludwig starke Seite nicht; wer aber in die großen blauen Augen des Knaben schauete und den festen Zug um den Mund gewahrte, der mochte ahnen, daß ein tiefer angelegtes Wesen in ihm vorhanden sei.

Auf der lateinischen Schule that es der Knabe allen seinen Altersgenossen zuvor; er lernte leicht und sicher und der gestrenge Rektor hatte den fleißigen Schüler gern. Zu den Schulaufgaben gehörte auch die Anfertigung lateinischer Hexameter, und diese wurden dem Ludwig so leicht, daß er einst an einem Sonntag 99 in Einem Zuge schrieb. Auf der Schultreppe zählte er nach, und da am Hundert ein Vers fehlte, schrieb er sogleich noch den letzten dazu. Daß ihm auch die Bildung deutscher Verse leicht wurde, zeigen mehrere Gedichte, die er in seinem vierzehnten Jahre verfaßte. Eins mit der Überschrift: »Bitte um die Frühjahrsvakanz« ist die Lösung einer Schulaufgabe. Es war in der Tübinger Schule Gebrauch, daß der Erste der Klasse dem Herrn Dekan-Schulvorsteher in jedem Frühjahr die Bitte um Bewilligung der Ferien in Versen vortrug. Die erste Strophe lautet:

Der stürmische Winter im rauhen Gewande
Floh hin zu des Eismeers versilbertem Strande,
Floh hin zu des Nordpols verödeter Flur.
Da weckte der Frühling im blumigen Kleide,
Geschmückt mit dem duftigen Kranze der Freude
Aus ruhendem Schlummer die junge Natur.

Nachdem das Leben und Weben des Frühlings dann weiter ausgemalt ist, wird der Uebergang zum eigentlichen Gegenstand der Bitte genommen:

Und wir, wir Söhne der Musen, wir schauen
Hinaus in des Neckarthals heitere Auen,
Und Durst nach Vergnügen bewegt uns die Brust.
Hier unter dem blauen erhabenen Himmel
Zu wandeln im freudigen, bunten Gewimmel,
O, welches Entzücken, welch' himmlische Lust!

Drum nahen wir uns nach der jährlichen Sitte
Zu Ihnen, Hochwürd'ger! mit hoffender Bitte
Um Zeit zu des Frühlings vergnügtem Genuß.
Doch nicht, um in Muße die Zeit zu verträumen,
Des Fleißes geheiligte Pflicht zu versäumen,
Den Fleiß zu ermuntern sei unser Entschluß!

Von seinem Großvater väterlicher Seits, dem hochbejahrten ehrwürdigen Professor der Theologie und Vorsteher des evangelischen Stiftes in Tübingen, empfing der junge Uhland noch den Konfirmationsunterricht und seine ernst und gläubig bewegte Seele gab ihrer religiösen Stimmung in einem Gedichte über Jesu Auferstehung und Himmelfahrt poetischen Ausdruck. Auch dieses Gedicht erhebt sich, gleich der angeführten Bitte um die Frühlingsvakanz, nicht über das Gewöhnliche. Dagegen zeigt das viel kürzere, ebenfalls im vierzehnten Lebensjahre verfaßte »im Tannenhain« eine bedeutende poetische Anlage und verdient, daß wir es hier ganz mittheilen.

Im Tannenhain.

Unter der Tannen Umschattung, im Heiligthume der Schwermuth,
Sitz' ich, verschlungenen Arms über bemoostem Gestein.
Matt durchflammet der Tag die Trauerbehängung der Aeste,
Wie die Gewölke der Mond dämmernden Strahles durchblickt.
Ha! wie betäubet des Harzes gewürziger Weihrauch die Sinne!
Sind es Träume, die schon schwül mir die Scheitel umwehn?
Horch, was rauschet daher? Den Schatten entflattert der Rabe.
Ach, sein prophetischer Ruf tönet so traurig, so bang!
Rabe, mich machst du nicht beben, es weckt keiner Schandthat Erinn'rung
Dein so trauriger Ruf noch in der Seele mir auf.
Aber wehe dem Frevler, deß Tritt diese Stätte entweihet:
An der Sträubung des Haars fasset Entsetzen ihn hier;
Ihm dräut Schrecken das Dunkel, ihm blinket Schrecken der Lichtstrahl,
Schrecken im Rabengekrächz rufet die Gottheit ihm zu.

Man sieht an diesen Zeilen, wie die Vorbilder der antiken Muster mit Ossian'schen und Hölty'schen Stimmungen noch zusammenfließen. Auf der Höhe des Osterberges bei Tübingen, wo er so oft im Spiel mit den Kameraden sich getummelt oder Schmetterlinge gefangen hatte, las er nun Rittergeschichten, Hölty's Gedichte voll sinnender Schwermuth und Ossians Lieder voll nordischer Dämmerung und empfindsamer Energie. Daß er seinen naturfrischen hellen Sinn nicht in dunkeln Träumen verloren hatte, zeigte er einige Jahre später (1806) in dem prächtigen Gedicht »des Knaben Berglied«, das auf dieser Berghöhe entstand.

Um ein werthvolles Stipendium sich nicht entgehen zu lassen, bezog der vierzehnjährige Knabe frühzeitig die Tübinger Universität und folgte dem Rath des Vaters, sich für die Jurisprudenz einschreiben zu lassen, obwohl seine Neigung auf das Studium der Philologie gerichtet war. Solches geschah schon am 3. Oktbr. 1801. Durch Repetenten des evangelischen Stifts ward er in der Kenntniß der alten Sprachen weiter geführt, dazu hörte er noch Vorlesungen über Geschichte, Literaturgeschichte, Naturwissenschaften und Mathematik. Mit seinem Freunde und Schulkameraden Hermann Gmelin Später Oberjustizrath. las er wiederholt die Odyssee und die griechischen Tragiker, besonders den Sophokles. Für den Großvater machte er lateinische Neujahrsgedichte in horazischen Versen, für die Töchter seines Onkels, des Arztes Dr. Uhland, deutsche Geburtstagswünsche. Die erste Bekanntschaft mit altdeutschen Heldendichtungen und Volksliedern machte in seinem poetischen Sinnen und Streben Epoche. »Um diese Zeit,« äußerte er sich später, »fand ich bei einem Verwandten, dem Professor Weisse, in einem Journal, das Heidelberger Museum betitelt, Lieder aus dem Heldenbuch, namentlich das Lied vom alten Hildebrand, das tiefen Eindruck auf mich machte.« Von der Mathematik fühlte sich der Jüngling nicht angezogen, es fehlte ihm, wie auch für die Naturwissenschaft, die entscheidende Anlage. Auch die Vorlesungen über Geschichte ließen ihn kalt, dagegen fühlte er sich überglücklich, als er vom Geschichtsprofessor Rösler die Erlaubniß erhielt, dessen reiche Bibliothek benutzen zu dürfen. »Wie glücklich war ich,« erzählt er, »wenn ich den Saxo Grammatikus in der Uebersetzung von Müller oder die Heldensage mit nach Hause nehmen konnte; aus diesem Werke entkeimte meine Vorliebe für die nordischen Mythen. Der Heldensage habe ich meinen »blinden König« entnommen.« Und als Prof. Seybold in einer Vorlesung über den Homer die Odyssee mit Ossians Gedichten und dem Walther von Aquitanien (einem der altdeutschen Heldensage entnommenen, in lateinischen Hexametern geschriebenen Gedichte) in Parallele setzte, und der freudigen Herzens Zuhörende zum ersten Mal in diesem merkwürdigen Liede von Walther und Hildegund die treuherzige Einfalt und wunderbare Frische dieser alten, aus der Phantasie des Volkes hervorgegangenen Sagenwelt mit aller Lebhaftigkeit empfand, da eilte er mit klopfender Brust in die Wohnung des Lehrers, um sich den Waltharius zu leihen. In diesem Liede fand er Etwas, was ihm die alten Klassiker nicht boten und bieten konnten, – »frische Bilder und Gestalten mit einem tiefen Hintergrunde, der die Phantasie beschäftigte und ansprach.« Das waren die Reize der Romantik, und zwar einer gesunden urkräftigen Romantik, denen sich der junge Dichter mit ganzer Seele hingab. – Der von ihm gedichtete »blinde König«, eine kräftige Ballade, wenn auch noch etwas jugendlich überschwenglich, gehört nebst den »sterbenden Helden« schon dem Jahre 1804 an, also dem siebenzehnten Lebensjahre Uhlands, und wie schnell sein Talent zu musterhaften Produktionen sich zeitigte, zeigt das schöne Gedicht, »die sanften Tage«, das im Frühjahr 1805 verfaßt wurde. Fr. Rotter erzählt, daß ihm aus demselben Jahre ein Manuskript mitgetheilt wurde, auf dessen Titelblatt sich der junge Dichter Ludwig Rio nannte, welches folgende Gedichte enthielt: Entsagung. Gesang der Jünglinge. Lied eines Armen. Die Kapelle. Die Nonne. Der Schäfer. Lied des Gärtners. An den Tod. Der Kranz. Aber auch das unübertrefflich innige und sinnige » Schäfers Sonntagslied« ist aus diesem Jahr. Lieder, wie die Kapelle, die sanften Tage, Lied eines Armen, Schäfers Sonntagslied, sind schon so vollendet, daß sie mit den besten Göthe'schen wetteifern können. Sie sind ebenso klar und gegenständlich geformt, als warm und innig empfunden, schlicht und einfach, voll innerer Musik und zum Singen auffordernd.

Im Jahre 1805 mußte das eigentliche Studium der Rechtswissenschaft aufgenommen werden und der achtzehnjährige Uhland ging, wenn auch ohne Neigung, doch mit Ernst und Pflichteifer an seine Fachwissenschaft. An ein lustiges Burschenleben war bei ihm nicht zu denken; seine still in sich abgeschlossene Natur hatte ein so reiches inneres Leben, daß ihm die Freuden des geselligen Lebens kein Bedürfniß waren. Dagegen war sein empfängliches, treues und tiefes Gemüth ganz für die Freundschaft geschaffen; im engeren Kreise gleichgestimmter Seelen und gleichstrebender Freunde öffnete sich gern der sonst schweigsame Mund zu Scherz und Ernst. Im Jahre 1804 war Justinus Kerner nach Tübingen gekommen, dessen Liebe zur Poesie, dessen stets bewegliche und fruchtbare Phantasie und biedere Offenherzigkeit die Anziehungskraft auf den spröder in sich verschlossenen Uhland nicht verfehlte. Durch Kerner ward er mit anderen strebsamen und tüchtigen Studenten bekannt und es bildete sich ein Freundeskreis, in welchem Uhland die angenehmsten Stunden verlebte. Nächst Kerner trat seinem Herzen besonders Karl Mayer, später Oberjustizrath in Tübingen, nahe; das mit ihm geknüpfte Band der Freundschaft hielt fest bis zum Tode.

Die Stimmung während dieser Studienjahre war eine gehobene, poetische und manches Lied des Dichters stammt aus dieser Zeit. Die großen politischen Ereignisse, die Schlag auf Schlag einander folgten – die Siege der Franzosen über die Oesterreicher, das Ende des deutschen Kaiserthums, dann die Niederwerfung Preußens in Folge der Schlacht bei Jena – berührten die Württemberger in geringerem Maaße; der König hielt es mit Napoleon, und die Rheinbundstaaten waren nach Auflösung des deutschen Reichs zufrieden, den mächtigen Franzosenkaiser zum Beschützer zu haben – alle diese Ereignisse brachten keine Störung in das Universitätsleben zu Tübingen. In den Herbstferien des Jahres 1806 unternahm Uhland mit einigen Freunden eine Reise in die deutsche Schweiz; in starken Fußreisen wurde der größte Theil derselben durchwandert. Die großartige Alpennatur mit ihren reizenden Thälern, namentlich der wunderherrliche Vierwaldstädtersee mit seinen Erinnerungen an Wilhelm Tell gewährten nicht geringe Freude und Erhebung. Das Gedicht »Tell's Platte« ist von dieser Reise. Seinen Plan, altdeutsche Sagen und Volkslieder, Sprachdenkmäler und Sitten zu erforschen, schon damals festhaltend, suchte Uhland auch bei den Schweizern nach Volksliedern, und als er sich bei einem Schuhmacher in Meiringen die Stiefel besohlen ließ, glückte es ihm, dort zwei alte Balladen zu finden, die in Seckendorffs Almanach abgedruckt wurden. Dankbar schickte er von Tübingen aus dem Schuhmacher als Gegengeschenk Schillers Wilhelm Tell.

Die vor wenigen Jahren erschienene Sammlung von Volksliedern, veranstaltet von Achim von Arnim und Clemens Brentano, unter dem Titel »des Knaben Wunderhorn« hatte ihre Wirkung auf den Kreis der jungen schwäbischen Dichter nicht verfehlt und ganz besonders anregend auf Uhland gewirkt, der sich fortan getrieben fühlte, auch fleißig das Französische und Englische zu lernen und später auch das Spanische und die nordischen Sprachen zu studiren, um die alten Lieder im Urtext lesen zu können. Das Studium der volksthümlichen Dichtungen des Mittelalters, das die sogenannte romantische Schule mit besonderem Eifer anregte, war eine wohlthätige Reaktion gegen das Weltbürgerthum unserer Klassiker Göthe und Schiller, die auf ihrer stolzen Höhe des über das Nationale sich erhebenden Allgemein-Menschlichen nur die griechische Formenschönheit als mustergültig anerkannten. So manches gediegene Gold und Silber der Poesie lag in den alten Heldensagen, in den Märchen und Liedern unseres Volkes und wartete nur der glücklichen dichterischen Hand, die es aus den Erzstufen hervorarbeitete und zu schöner Gestaltung brachte. Während aber hochbegabte Romantiker, wie Tieck und die beiden Schlegel, ihre Kraft zu sehr zersplitterten, und weil sie des einfachen keuschen Sinnes ermangelten, der die Einfalt und Treuherzigkeit der Volkspoesie ebenso schlicht und einfach wieder zu geben vermochte, auch den Weg zum Herzen des Volkes nicht fanden; während sie in ihren Dichtungen sich in einer bunten Phantastik der Märchenwelt ergingen, die zum wirklichen Leben alle Beziehung verloren hatte und dem Volke unverständlich und ungenießbar blieb: hielten sich die schwäbischen Dichter im engeren Kreise des gemüthlichen Liedes, der Romanzen- und Balladenform, und Uhland war es vorbehalten, auf diesem Gebiete unvergängliche Lorbeeren zu pflücken. Indem er von allen Ueberreizungen und Ueberspannungen der Romantiker sich lossagte und an das Gesunde, Natur- und Volksgemäße ihres Strebens sich hielt, indem er Lieder sang, die in ihrer knappen, gedrungenen und doch leicht und frei hingeworfenen, klar durchsichtigen Form der vollendeten Schönheit Göthe'scher Kunstdichtung gleich kamen, brachte er zugleich das Volkslied und die Romantik wieder zu Ehren und ward recht eigentlich der »Klassiker unter den Romantikern«, wie ihn Strauß sehr bezeichnend genannt hat.

In Opposition gegen das »Morgenblatt für gebildete Leser«, das damals im Cotta'schen Verlag unter Redaktion des in Stuttgart lebenden Satyrikers Weisser erschien und in etwas nüchterner Weise wider die Romantik Front machte, beschlossen die Romantiker des Uhlandschen Kreises, ein nur geschriebenes »Sonntagsblatt für ungebildete Leser« herauszugeben und unter sich zirkuliren zu lassen. Gedichte und Aufsätze, Kritiken und allerlei lustige Schnurren wurden diesem Blatte anvertraut, zu dem der in originellem Humor übersprudelnde Kerner die meisten Beiträge lieferte. Auf Kerners Zimmer im sogenannten »Neuen Bau« kamen die poetischen Genossen zusammen und lasen das Sonntagsblatt vor. Uhland legte darin einen mit jugendlicher Begeisterung verfaßten Aufsatz »über das Romantische« nieder, das er als die Sehnsucht nach dem Unendlichen erklärt. »Die Griechen,« heißt es u. A., »in einem schönen, genußreichen Erdstriche wohnend, von Natur heiter, umdrängt von einem glänzenden thatenvollen Leben, mehr äußerlich als innerlich lebend, überall nach Begrenzung und Befriedigung trachtend, kannten oder nährten nicht jene dämmernde Sehnsucht nach dem Unendlichen. Ihre Philosophen suchten es in lichten Systemen aufzufassen, ihre Dichter stellten jeder inneren Regung des Höheren äußerlich eine helle, mit kräftigen Umrissen abgestochene, mit bezeichnenden Attributen ausgerüstete Göttergestalt entgegen. Ihr Olymp stand in lichter Sonne da, jeder Gott, jede Göttin ließ sich klar darauf erblicken.

»Der Sohn des Nordens, den seine minder glänzenden Umgebungen nicht so ganz hinreißen mochten, stieg in sich hinab. Wenn er tiefer in sein Inneres schauete, als der Grieche, so sah er eben darum nicht so klar. Seine Natur lag selbst in den Wolken. Darum waren seine Götter ungeheure Wolkengestalten, ossianische Nebelgebilde; er wußte von Meerfeien, die aus der blauen unendlichen See auftauchten, von Elfen, Zwergen, Zauberern, die alle mit seltsamer Kunde aus den Tiefen der Natur hervortraten. Er verehrte seine Götter in unscheinbaren Steinen, in wilden Eichenhainen; aber um diese Steine bewegte sich der Kreis des Unsichtbaren, durch diese Eichen wehte der Odem des Himmlischen.«

Dann spricht er vom romantischen Christenthum und von der romantischen Liebe, die auch in dem geliebten Gegenstande ein Höheres, Himmlisches, Unendliches erblickt. »Religiosität und Minne sind es, für die der Helden Kraft rang und strebte. Religiosität, Minne und Tapferkeit machen den Geist des Ritterthums aus. Es giebt romantische Charaktere, d. h. solche, die der romantische Glaube ganz ergriffen hat und Motiv ihrer Gesinnungen und Handlungen wird: Mönche, Nonnen, Kreuzritter. Auch die Natur hat ihre Romantik. Blumen, Regenbogen, Morgen- und Abendroth, Wolkenbilder, Mondnacht, Gebirge, Ströme, Klüfte etc. lassen uns theils in lieblichen Bildern einen zarten geheimen Sinn ahnen, theils erfüllen sie uns mit wunderbarem Schauder.« – »Eine Gegend ist romantisch, wo Geister wandeln, mögen sie uns an vergangene Zeiten mahnen oder sonst in geheimer Geschäftigkeit sich um uns her bewegen. Wir stehen noch außer dem Reigen der luftigen Elfen, die, nach der nordischen Sage, nur Der sieht, der innerhalb ihres Kreises steht; aber wir fühlen ihre wehende Bewegung, wir hören ihre flüsternde Stimme. Die Romantik ist nicht bloß ein phantastischer Wahn des Mittelalters; sie ist hohe, ewige Poesie, die im Bilde darstellt, was Worte dürftig oder nimmer aussprechen; sie ist das Buch voll seltsamer Zauberbilder, die uns im Verkehr erhalten mit der dunkeln Geisterwelt; sie ist der schimmernde Regenbogen, die Brücke der Götter, worauf, nach der Edda, sie zu den Sterblichen herab und die Auserwählten zu ihnen emporsteigen.«

Man sieht, wie es in dem äußerlich so trockenen Juristen innerlich glühete, und wie er sich mit voller Seele den herrschenden Gedanken der Romantiker hingab. Die Arbeiten für die Prüfung und Promotion als Doctor juris mochten dem so poetisch erregten Gemüthe drückend genug sein, doch gelangen sie alle gut und die Prüfungs-Dissertation ward von Sachverständigen als »ein Muster von Feinheit, Schärfe und Reichhaltigkeit« gerühmt. Am 3. April 1810 ward die Ernennung zum Doktor mit einem Schmause gefeiert. Am 6. Mai trat Uhland die Reise nach Paris an, auf die er sich schon lange gefreut hatte, denn er hoffte, in den Pariser Bibliotheken werthvolle Urkunden für die Kenntniß mittelalterlicher Sagendichtung zu finden. Der eigentliche Zweck der Reise war freilich nähere Beschäftigung mit dem französischen Recht und die Kenntniß des französischen Gerichtsverfahrens, welche seit der Einführung des Code Napoléon einem jungen Juristen sehr förderlich werden konnte. Doch da der Zutritt zu den Pariser Gerichtsverhandlungen schwer zu erlangen war, besuchte der junge Gelehrte um so eifriger die Pariser Bibliothek. Dort lernte er Immanuel Becker, den nachmaligen Professor der klassischen Literatur und Mitglied der Akademie in Berlin, eine ebenso schweig- und strebsame Natur, wie Uhland, kennen und Beide wurden bald vertraut mit einander. Uhland lernte von Becker Spanisch und Portugiesisch und gab ihm dafür Unterricht in den nordischen Sprachen. Er traf auch mit Varnhagen zusammen und machte die Bekanntschaft von Chamisso, der den hohen Werth der Uhlandschen Gedichte gleich bei dem ersten Bekanntwerden mit denselben erkannt und verkündet hatte. Noch von Paris aus schrieb Chamisso (am 7. Dezbr. 1810) an Varnhagens Schwester: »Ich kann wohl sagen, daß mich nach Göthe kein Dichter so angeregt hat. Es gibt sehr vortreffliche Gedichte, die Jeder schreibt und Keiner liest, gar schöne Sonette und was dergleichen mehr ist; andere wiederum, die Keiner schreibt und Jeder liest, und von dieser letzten Gattung sind die Uhlandschen; die Form darin ist wegen der Poesie da, wie bei anderen die Poesie wegen der Form. Er selbst ist klein, unscheinbar, dickrindig und schier klotzig.«

Uhlands Aufenthalt in Paris verlängerte sich bis in den Winter; die Kälte im großen Bibliotheksaale wurde oft so empfindlich, daß die rechte Hand im Schreiben erstarrte und dann mit der linken Hand weiter geschrieben wurde. Besonders freute er sich über die Auffindung einer Reihe fränkischer Sagen von Pipin, Karl dem Großen und seinen Helden. Im Tagebuche heißt es unter dem 3. Dezbr.: »Ich hatte Morgens in Lope de Vega die Romanze von Kaiser Karl u. s. w. gelesen. Mit dem Gedanken an diesen Fabelkreis ging ich gegen die Notredame-Kirche, auf dem Pont St. Michel vergeblich nach alten Büchern suchend, bis ich endlich ganz unerwartet beim Louvre den Volksroman von Karl dem Großen fand.« Köstliche Früchte dieser Lektüre waren die Sagenlieder von Klein Roland, Roland Schildträger und Karls Meerfahrt, die zu dem Besten gehören, was Uhland gedichtet hat und was überhaupt in dieser Gattung vorhanden ist. In Paris selber wurden folgende Gedichte geschrieben: Der Rosenkranz. Der nächtliche Ritter. Das Reh. Amors Pfeil. Schicksal. Das Ständchen. Graf Eberhards Weißdorn. Die Jagd von Winchester. Todesgefühl. Der Ring. Die drei Schlösser. Altfranzösische Gedichte. Eine Abhandlung über das altfranzösische Epos, welche Uhland gleich nach seiner Rückkehr von Paris begann, aber erst im Jahre 1812 von Fouqué's »Musen« abdrucken ließ, war bahnbrechend für dieses Gebiet der Forschung. Er wies darin nach, daß in der alten nordfranzösischen Sprache ein Cyklus epischer Gedichte vorhanden sei, welche durch gegenständliche Darstellung einer mächtigen Heldenzeit, durch ruhige Entfaltung der Handlung, durch angemessene Haltung des Styls und Beständigkeit der Versweise den homerischen Gesängen und den Nibelungen würdig sich anreiheten. An dieser fränkischen Heldensage hatte aber das deutsche Volk nicht minder Antheil als das französische, und Uhland hat sie für deutsche Kunst und Wissenschaft erobert. Auf diesen Erwerb war schon lange sein Sinnen und Trachten gerichtet gewesen. Schon am 26. Januar 1807 hatte er an seinen Landsmann Kölle, der in Paris sich aufhielt, geschrieben: »So wollte ich Sie beschwören bei dem heiligen Mutternamen Deutschlands, gehen Sie, wenn Sie immer können, in die Bibliotheken von Paris, suchen Sie hervor, was da vergraben liegt an Schätzen altdeutscher Poesie. Da schlummern sie, die bezauberten Jungfrauen, goldene Locken verhüllen ihr Gesicht; wohlauf, ihr männlichen Ritter, löset den Zauber! sie werden heißathmend die Locken zurückwerfen, aufschlagen die blauen, träumenden Augen. Allein sehen Sie nicht ausschließend auf deutsche Alterthümer, achten Sie auf die romantische Vorwelt Frankreichs. Ein Geist des Ritterthums waltet über ganz Europa. Wo Sie in einem Buche eine schöne Kunde, Legende u. s. w. finden, lassen Sie die nicht verloren gehen, wir haben ja so großen Mangel an poetischem Stoff, an Mythen.«

Der Kreis früherer Studiengenossen hatte sich aufgelöst; dagegen schloß sich Gustav Schwab, der im Herbst 1809 in das Tübinger Stift gekommen war, mit ganzer Seele an Uhland an. Der poetische Sinn des jungen Mannes, sein lebhaftes und feines Naturgefühl wirkten belebend und erfrischend auf den älteren Freund, um den sich bald ein neuer Kreis gleichstrebender Freunde sammelte. Mit Justinus Kerner, der sich als praktischer Arzt in Wildbad niedergelassen hatte, ward fleißig gebriefwechselt; Uhland nahm sorglichen Antheil an dessen »poetischem Almanach«, der im Jahre 1812 erschien, in welchem er außer den altfranzösischen Gedichten die beiden vortrefflichen kleinen Gedichte »der gute Kamerad« und »der Schmied« abdrucken ließ. Das Jahr 1813 brachte einen ähnlichen Almanach unter dem Titel »Dichterwald«, den Uhland mit seinem »Singe, wem Gesang gegeben, in dem deutschen Dichterwald« eröffnete und worin er die oben erwähnten Sagenlieder »König Karls Meerfahrt« und »Roland Schildträger« nebst den Perlen volksthümlicher Lyrik »Wanderlieder« mittheilte.

Bei diesem poetischen Schaffen vergaß der Jurist doch nicht sein Brodstudium und er arbeitete auf juristischem Felde rüstig weiter. Der junge Doktor hatte schon die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich gezogen und es ward ihm der Antrag gemacht, als Accessist (provisorisch angestellter Sekretär) in die Kanzlei des Justizministers von der Lühe einzutreten. Der Vater rieth sehr zur Annahme des Postens und so bezog denn Uhland (im Dezember 1812) die Kanzlei des Justizministeriums. Seine Aufgabe war, die Strafurtheile der Gerichtskollegien, besonders die Todesurtheile, zum Vortrag für den König zu bearbeiten. Der Minister wünschte die Berichte immer so abgefaßt zu sehen, wie er glaubte, daß sie am sichersten bei Sr. Majestät durchdringen möchten. Der junge Sekretär wollte aber keine Umwege machen und hatte nur das strenge Recht im Auge, Kabinets-Justiz war nicht seine Sache. Da der Minister seinen Untergebenen zu wenig fügsam fand, unterstützte er auch nicht dessen Gesuch um die Stelle eines besoldeten zweiten Sekretärs beim Justizministerium, und Uhland nahm seinen Abschied, um als Rechtsanwalt in Stuttgart auf eigene Hand seinen Lebensunterhalt zu gewinnen.

Unterdessen war der allgemeine Kampf wider Napoleon ausgebrochen und selbst Württemberg war dem Völkerbunde beigetreten, obwohl es der König im Herzen mit Napoleon hielt. Uhland war durch seine, wie durch seines schwäbischen Vaterlandes eigenthümliche Stellung verhindert, thätigen Antheil an der Befreiung Deutschlands zu nehmen; aber seine Leyer sollte nicht stumm bleiben; er sang das frische, trompetenhelle »Vorwärts« in den Landsturm hinein und nach dem Sieg der deutschen Waffen machte sich der Schmerz der Resignation in den beiden Strophen »an das Vaterland« Luft:

Dir möcht' ich diese Lieder weihen,
Geliebtes deutsches Vaterland!
Denn dir, dem neuerstand'nen freien,
Ist all' mein Sinnen zugewandt.

Doch Heldenblut ist dir geflossen,
Dir sank der Jugend schönste Zier;
Nach solchen Opfern, heilig großen,
Was gälten diese Lieder dir?

Bald jedoch sollte ihm die Genugthuung werden, nicht bloß als Dichter, sondern auch als Vertreter der Volksrechte seine vaterländische Gesinnung bethätigen zu können. Der Aufschwung, den der Volksgeist genommen, forderte gebieterisch, daß dem Belieben unbeschränkter Fürstenmacht durch Volks-Abgeordnete, die über die wichtigsten Landesangelegenheiten ein Wort mitzusprechen und in der Gesetzgebung eine mitentscheidende Stimme hatten, ein Damm entgegengesetzt werde. König Friedrich, der im Jahre 1805 die alte württembergische Verfassung aufgehoben hatte, war geneigt, dem Lande eine freisinnige Verfassung wieder zu Theil werden zu lassen; aber sie sollte ein freies Geschenk seiner königlichen Machtvollkommenheit sein, nicht erst durch gemeinsame Berathung der Regierung mit den Ständen Geltung erlangen. Uhland stellte sich auf Seite Derer, welche sich nichts durch fürstliche Gnade wollten schenken lassen, weil sie in der Wiederherstellung der alten Verfassung schon den rechten Grund und Boden wiedergewannen, auf welchem von Unten auf weiter gebaut werden konnte. War doch das Hauptrecht, Steuern zu bewilligen und zu verweigern und einen Theil derselben selbst zu verwalten, dem Volke bereits in der alten Verfassung gewährleistet. Wie sehr der begonnene Verfassungskampf den patriotisch gesinnten Dichter ergriff, zeigt sich in dem unwillkürlichen Hervordrängen jener Verszeilen in dem Heldenliede von Graf Eberhard dem Rauschebart: Ueberfall in Wildbad (gedichtet im Juli 1815):

Da denkt der alte Greiner: Es thut doch wahrlich gut
So sänftlich sein getragen von einem treuen Blut.
In Fährden und in Nöthen zeigt erst das Volk sich recht,
Drum soll man nie zertreten sein altes, gutes Recht.

Uhland war einer der feurigsten und beharrlichsten Verfechter des »guten, alten Rechts«; er redigirte die Eingabe der stuttgarter Bürger an den König, worin derselbe auf sehr freimüthige Weise um Wiederherstellung der alten Verfassung ersucht ward, und dazu dichtete er seine »vaterländischen Lieder«, welche in Scherz und Ernst und volksthümlichem Humor ihre Lanze für das alte Staatsgrundgesetz einlegten. In dem schönen Lied am 18. Oktbr. 1816 heißt es u. A.:

Ihr Völker, die ihr viel gelitten,
Vergaßt auch ihr den schwülen Tag?
Das Herrlichste, was ihr erstritten,
Wie kommt's, daß es nicht frommen mag?
Zermalmt habt ihr die fremden Horden,
Doch innen hat sich nichts gehellt,
Und Freie seid ihr nicht geworden,
Wenn ihr das Recht nicht festgestellt.

Das ist das Rechte, wenn sich der Dichter nicht selbstgenügsam und ruheliebend auf sein Ich und dessen Liebhabereien zurückzieht, sobald – sei es im Frieden oder im Krieg – das Volk im Kampfe um seine Freiheit und seine auch ihm von Gottes Gnaden zukommenden Rechte begriffen ist. Diese vaterländischen Gedichte gewannen dem Dichter ganz besonders das Herz seiner Landsleute. Im April des Jahres 1817 erklärte er sich gegen eine Adelskammer, welche in dem Verfassungsentwurf der Regierung angenommen war; mit scharf einschneidendem Wort heißt es darin: »Wir machen dem Adel seine Rechte nicht streitig. Aber man spreche uns nicht von Söhnen Gottes und Söhnen der Menschen, man stelle nicht Geburt und Verdienst in Vergleichung! Adelsvorurtheil ertragen wir nicht. Darum keine Adelskammer! Kein Stand soll dem menschlichen Verkehr mit dem andern enthoben sein, alle sollen sich gegenüberstehn; Aug' in Auge, wie es Menschen gegen Menschen geziemt.« – »Dreißig Jahre hat die Welt gerungen und geblutet. Menschenrecht sollte hergestellt, der entwürdigende Aristokratismus ausgeworfen werden; davon ist der Kampf ausgegangen. Und jetzt, nach all' den langen blutigen Kämpfen, soll eben dieser Aristokratismus durch neue Staatsverträge geheiligt werden? Hierzu einwilligen, ihr Volksvertreter, hieße den Todeskeim in die Verfassung legen, neue Umwälzungen vorbereiten, unsere vernünftige altwürttembergische Verfassung entweihen, die Sache des Vaterlandes und der Menschheit verlassen.«

Ehe noch der Verfassungsstreit geschlichtet war, starb König Friedrich I. von Württemberg (30. Oktbr. 1816); es folgte ihm Wilhelm I., der als Kronprinz an der Spitze der württembergischen Jugend tapfer gegen die Franzosen gefochten hatte. Ihm rief der Dichter bittend zu;

Jetzt, da von neuem Lichte
Die Hoffnung sich belebt,
Und da die Volksgeschichte
Den Griffel warnend hebt:
O Fürst! für dessen Ahnen
Der Unsern Brust gepocht,
Und unter dessen Fahnen
Die Jugend Ruhm erfocht,
Jetzt, unvermittelt, neige
Du dich zu unserm Schmerz!
Ja, du vor Allen zeige
Für unser Volk ein Herz!

Der Minister Freiherr v. Wangenheim, welcher das Vertrauen des verstorbenen und des neuen Königs besaß, war den Bestrebungen der Altwürttemberger sehr entgegen, mußte aber von Uhland das bittere Wort hören: Du meinst es löblich, doch du hast für unser Volk kein Herz!

Die Stände wurden neu berufen und abermals aufgelöst. Der König regierte zwei Jahre ohne sie. Vom besten Willen für das Wohl seines Landes beseelt, gab er während dieser Zeit durchaus freisinnige Gesetze und verminderte dadurch die Spannung. Als er im Jahre 1819 eine Verfassung den Ständen darbot, die der bürgerlichen Freiheit volle Gewähr leistete, wurde sie (am 23. Septbr.) mit Freuden angenommen, obwohl sie das Zweikammer-System enthielt; Uhland hatte die Ehre, daß am 18. Oktbr. zur Feier des Konstitutionsfestes sein Trauerspiel »Herzog Ernst von Schwaben« im Stuttgarter Hoftheater aufgeführt wurde. Der Prolog schließt mit den begeisterungsvollen Worten:

Ja, mitten in der wildverworr'nen Zeit
Ersteht ein Fürst, vom eignen Geist bewegt,
Und reicht hochherzig seinem Volk die Hand
Zum freien Bund der Ordnung und des Rechts.
Ihr habt's gesehen, Zeugen seid ihr alle,
In ihre Tafeln grab' es die Geschichte:
Heil diesem König, diesem Volke Heil!

Während Uhlands Gedichte erst nach langem Zögern von der Cotta'schen Buchhandlung in Verlag genommen wurden (sie erschienen zur Herbstmesse 1815), boten sich zur Herausgabe des »Herzog Ernst« gleich vier Buchhandlungen an: der Name des Dichters war schon populär geworden. Anfangs wurden die Gedichte wenig beachtet, endlich aber schlugen sie durch und nun folgte schnell eine Auflage der anderen.

Die beiden Dramen Herzog Ernst von Schwaben Im August 1817 vollendet. und Ludwig der Baier wurden während der Verfassungswirren gedichtet; sie geben beide ein rühmliches Zeugniß von der edeln, freien, männlichen Gesinnung des Dichters, enthalten getreue Schilderungen der Zeit und sind voll einzelner poetischer Schönheiten. Wenn sie auch nicht die dramatische Kraft eines Schillerschen Drama's erreichen und überhaupt nicht bühnengerecht sind: so ist doch ihre Lektüre namentlich der Jugend zu empfehlen, der sie die deutsche Treue auf das Eindringlichste zu Gemüthe führen.

Der neue Landtag trat am 15. Januar 1820 zusammen und Uhland als Abgeordneter der Stadt Tübingen gehörte zu dem Ausschuß, welcher dem Könige die übliche Antwort auf die Thronrede zu überbringen hatte. Der Monarch unterhielt sich bei dieser Gelegenheit sehr freundlich mit dem Dichter. Am folgenden Tage feierte derselbe seine Verlobung mit Emilie Vischer aus Kalw, Tochter erster Ehe der allgemein verehrten Frau Emilie Pistorius, zu deren Andenken Rückert im Jahre 1816 seine elf Sonette »Rosen auf das Grab einer edeln Frau« dichtete. Am 29. Mai war die Hochzeit und gerade an diesem Tage fand eine wichtige Sitzung im Abgeordnetenhause Statt, der Uhland beiwohnen mußte und alle Hände voll zu thun hatte, so daß er von früh bis 2 Uhr Mittags im Ständehause blieb, und nach der Trauung, die um 3 Uhr stattfand, noch einmal dahin zurückkehrte. Er gewann an seiner Gattin die treueste Gehilfin und Theilnehmerin an seinem ferneren Leben und Streben, sie gewährte ihm eine befriedigte, auch äußerlich sicher gestellte Häuslichkeit. Die geist- und charaktervolle Frau begleitete den geliebten Mann auch auf seinen Reisen, die er zur Erforschung altdeutscher Sprachschätze in den Bibliotheken nach verschiedenen Städten Deutschlands unternahm. Sie hatte dabei die Genugtuung, überall Zeuge zu sein von der innigen Verehrung, mit der man den Dichter und Patrioten Uhland in Nord- wie in Süddeutschland feierte. Das Glück dieser Ehe währte ungetrübt über 42 Jahre, und nur die Kinderlosigkeit war ein Schatten, der in dieselbe fiel.

Um die Freude des Jahres 1820 voll zu machen, berichtete die Cotta'sche Buchhandlung, daß die erste Auflage der Uhlandschen Gedichte vergriffen sei; die zweite wurde bedeutend vermehrt. Die heitere Stimmung des Dichters zeigte sich in den geselligen Abendzirkeln, wo der sonst so ernste und gemessene Mann humoristische Einfälle zum Besten gab und ein nicht geringes Talent für das Komische offenbarte. Verkleidungen aus dem Stegreif gelangen ihm vortrefflich und lange nachher wußte man noch von einer spaßhaften Darstellung der Charade »Genofeva« zu erzählen, in welcher Uhland den »Schmerzenreich« vorstellte, der einen wilden Apfel verspeist. Bei einem anderen lebenden Bilde stellte er den wild-romantischen »Kometen« dar, welcher mit höchst excentrischen Bewegungen in die geordnete Reihe der »Planeten« hineinfuhr, über welche kühne Schwenkungen die Dame »Vesta« so in's Lachen gerieth, daß sie von dem brennenden Spiritus, den sie in einer Schaale hielt, einige Tropfen auf den langen Flachsbart des »Saturn« ausschüttete, der augenblicklich zu brennen begann. Der »Komet« hatte jedoch Geistesgegenwart, riß den in Flammen stehenden Planeten gleich zu Boden und deckte ihn mit seinem Körper; der Komet war plötzlich ein Feuerlöscher geworden.

Uhland konnte seine Hochzeitsreise nach der Schweiz erst im Juli unternehmen. Kurz vor der Abreise ward er durch den Besuch des Freiherrn Joseph von Laßberg überrascht, mit dem er schon vorher in freundschaftlicher Correspondenz gestanden und der ihm unlängst mit dem 1. Bande seines »Liedersaals« ein Geschenk gemacht hatte. Die Freundschaft des edlen Laßberg, der dem Dichter mit innigster Verehrung zugethan war und ihm seine seltenen alten Handschriften und Sammelwerke auf das Freundlichste zur Verfügung stellte, war für Uhland von großem Werth. Er wurde durch Laßberg mit den ausgezeichnetsten Männern vom Fach bekannt und verlebte viele lehr- und genußreiche Stunden auf dessen Schlössern Meersburg am Bodensee und Eppishausen im Thurgau.

Uhlands landständische Wirksamkeit dauerte von 1820-26. So sehr ihn dieselbe in Anspruch nahm, so setzte er doch seine Studien eifrig fort, und noch während der Sitzungsperiode 1822 gab er seine gehaltreiche Monographie über den Minnesänger Walther von der Vogelweide heraus. Nach Beendigung der Sitzungsperiode lehnte er die Wiederwahl ab, denn er hatte wohl erkannt, daß ihm seine staatsmännische Thätigkeit nie rechte Befriedigung geben werde. Er war nicht Parteimann, aber auch nicht Andere mit sich fortreißender Redner, und obwohl er klarer als die Meisten die Mängel deutscher Verfassungszustände erkannte, hielt man doch meist seine Forderungen und strengen Urtheile für unpraktischen Idealismus.

Um so erfreulicher ward ihm die Berufung an die Universität Tübingen als Professor der deutschen Literatur. Nach den Osterferien im Jahre 1830 eröffnete er seine Vorlesungen in dem größten, von Zuhörern voll besetzten Hörsaale; er las über Geschichte der deutschen Poesie im 13. und 14. Jahrhundert und später auch über romanische und germanische Sagengeschichte. Dazwischen fielen Erklärungen des Nibelungenliedes. Einmal in der Woche hielt er auch Uebungen im mündlichen und schriftlichen Vortrag, es wurden von den Studenten Gedichte und prosaische Aufsätze eingereicht, von Uhland vorgelesen und dann auf ebenso freundliche als belehrende Weise kritisirt. Der Dichter selber erfreute seine Zuhörer mit seinen neuentstandenen Gedichten, wie »Tells Tod«, » Ver sacrum«, »Merlin der Wilde«.

Diese schöne und erfolgreiche Wirksamkeit sollte aber bald wieder unterbrochen werden. Die Pariser Juli-Revolution hatte auch in Württemberg die konstitutionellen Ideen neu belebt und von dem neu zusammentretenden Landtage erwartete man viel. Die Hauptstadt des Landes rechnete es sich zur Ehre, den Mann zu ihrem Abgeordneten zu wählen, der sich durch Festigkeit, Freimuth und Unabhängigkeit der Gesinnung das Vertrauen der Bürger erworben hatte. Uhland nahm die Wahl an. Die Regierung schob aber die Eröffnung des Landtages bis zum Januar 1833 hinaus und löste ihn schon am 22. März wieder auf. Es wurden neue Wahlen ausgeschrieben und die Regierung bot Alles auf, diese nach ihrem Sinne zu lenken. Einen so freisinnigen und hartnäckigen Deputirten wie Uhland suchte sie fernzuhalten; sie verweigerte ihm den Urlaub, um den er vorschriftsmäßig nachsuchte. Uhland aber bedachte sich, so sehr es ihn auch schmerzte, keinen Augenblick und legte alsbald sein Professoramt nieder. Daß er alle liberalen Anträge lebhaft unterstützte, war selbstverständlich. In seiner Rede zur Unterstützung des Antrages seines Freundes Schott, »die Regierung um Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Preßfreiheit durch Aufhebung der Censur zu bitten«, sagte er u. A.: »Es war eine alte Verheißung: ein freies großes Deutschland, lebenskräftig und in Einheit gehalten, wiedergeboren aus dem ureignen Geiste des deutschen Volks, sollte wieder unter den Völkern Europa's erscheinen. Das hatten nicht deutsche Demagogen verkündigt, sondern mächtige Monarchen den Völkern zum Lohn ihrer Anstrengungen verheißen. Es ging aber Nichts in Erfüllung. Im Gegentheil wurde der Volksgeist in immer engere Bande geschlagen. Die Beschlüsse, wodurch die Preßfreiheit vernichtet, Bücher und Zeitungsblätter verboten, die öffentlichen Verhandlungen der Volkskammern unter besondere Aufsicht gestellt, Vereine und Versammlungen untersagt, gemeinschaftliche Vorstellungen an den Bundestag über öffentliche Angelegenheiten für ungesetzlich erklärt wurden: alle diese Beschlüsse waren nicht geeignet, den ureignen Geist des deutschen Volkes zur Gestaltung zu bringen.« Am Schluß des Jahres wurde die Kammer vertagt, und als Uhland nach Tübingen zurückkehrte, ward ihm von der Studentenschaft ein schöner silberner Pokal überreicht, welcher in einem Kranze von Eichenlaub die Inschrift trug: »Dem Meister deutschen Rechts und deutscher Kunst. Die Studirenden der Universität Tübingen.« Auf dem Deckel hält ein ruhender Löwe eine kleine Tafel mit der Inschrift: »Das alte Recht.« Auch von seinen Stuttgarter Wählern ward ihm ein kostbarer silberner Pokal verehrt. Den untern Theil desselben bildet eine schön modellirte Jünglingsgestalt mit dem Schwert in der Hand, den anderen Arm um den Stamm einer Eiche geschlungen. Am Baume lehnt der Schild mit der Aufschrift: Wahrheit. An dem äußeren Rande der Trinkschaale sind die vier Stände abgebildet: der Handelsstand mit der abgebrochenen Zollschranke, der Lehrstand, die Kunst und der Ackerbau. Den Deckel ziert ein goldener Lorbeerkranz und eine Lyra. Von Seiten der Frauen und Jungfrauen Stuttgarts ward ihm ein höchst geschmackvoller Arbeitssessel und kunstreich gearbeiteter Fußteppich dargebracht.

Der Regierung gegenüber hatte sich übrigens die Oppositionspartei, zu welcher Uhland gehörte, keiner großen Erfolge zu rühmen; sie wurde vom Volke zu wenig unterstützt und die reaktionäre Stimmung nahm überhand. Dieß bestimmte Uhland sammt anderen Liberalen, für die im Jahr 1839 stattfindende Neuwahl die Wahl abzulehnen. Er hatte sich 1830 in seiner Vaterstadt ein eigenes Haus gekauft; frei am Fuß des Osterbergs gelegen, mit herrlichem Blick auf das Neckarthal und die Höhen der Alb, und er widmete sich mit neuem Eifer den alten Studien. Ein Heft Sagenforschungen, die Abhandlung »der Mythus von Thor« (Stuttgart 1836), dann die Sammlung »alter hoch- und niederdeutscher Volkslieder« (Stuttgart 1844-45), für welche er so manche Reise in Deutschland und den Nachbarländern unternommen hatte, geben Zeugniß von seiner fruchtbaren literarischen Thätigkeit. Bei seinem Aufenthalte in Wien 1838 ward er vom Erzherzog Karl zur Tafel geladen und von den Wiener Gelehrten und Dichtern sehr gefeiert. Von Herrn von Karajan zu Tisch geladen, bemerkte er während des Essens, wie das älteste Söhnchen seines Wirthes ihn unverwandten Blickes anschaute. Herr v. Karajan gestand seinem Gast, daß er seinem Buben eingeschärft habe, er möchte sich den zu Tisch kommenden Mann ja recht anschauen, das sei ein berühmter Mann. Uhland ward durch diese Mittheilung sehr heiter gestimmt, spielte nach Tisch mit den Kindern und ließ sie trotz aller Abwehr der Eltern an sich heraufklettern.

Im dichterischen Hervorbringen war er sehr an die Stimmung gebunden. War diese einmal günstig, dann folgte binnen wenigen Tagen Lied auf Lied, aber dazwischen fielen dann lange, unfruchtbare Zwischenräume. Die letzte ergiebige Zeit war der Frühling und Sommer des Jahres 1834; nachher kamen nur vereinzelte Momente dichterischer Stimmung und Kraft. Einem jungen Manne, der den Dichter fragte, warum er seine Muse so lange in Ruhe lasse, erwiderte er lachend, daß die Muse ihn in Ruhe lasse. Es war das auch ein charaktervoller Zug Uhlands, daß er nur mit ganzer Seele dichten wollte und sich nicht herausnahm, die Muse zu commandiren. In den Gedichtsammlungen so vieler hochberühmter Dichter stehen manche höchst mittelmäßige Gedichte, die füglich hätten wegbleiben können; in der Uhlandschen Sammlung, die nur Einen nicht allzustarken Band umfaßt, findet sich nur wenig mattes Flittergold, da ist fast Alles edles gediegenes Metall.

Als im Jahre 1846 der Gedanke einer regelmäßigen Zusammenkunft der deutschen Alterthumsforscher in Anregung gebracht wurde, ließ Uhland im Verein mit den Gebr. Grimm, mit Dahlmann, Ranke, Pertz, Gervinus, Reyscher und Arndt den Aufruf an die deutschen Geschichts-, Rechts- und Sprachforscher ergehen und im September desselben Jahres kam die zahlreich besuchte Germanistenversammlung in Frankfurt a. M. zu Stande. In einem begeisterten Toaste hob Uhland hervor, daß die in Poesie und Wissenschaft gepflegten Ideen nun auch bald in die Wirklichkeit eintreten würden, es werde bald wieder von einem deutschen Reich und Parlament die Rede sein und es wäre ihm zu Muthe, als müßten die Bilder der alten Kaiser (die Versammlung tagte im Römer, dem alten Krönungssaale der Kaiser) aus ihren Rahmen hervorspringen.

Zwei Jahre darauf, im März 1848, wehete ein Frühlingswind der Freiheit durch die deutschen Lande. Uhland ward von dem freisinnigen württembergischen Ministerium auf Anregung Paul Pfizers, des Kultusministers, zu einem der siebzehn Vertrauensmänner ernannt, welche dem frankfurter Bundestag zur Vorberathung einer Verfassungsreform beigegeben werden sollten. Vor der Abreise nach Frankfurt ehrte ihn Universität und Stadt durch einen schönen Fackelzug. Bald nach seiner Abreise ward er vom Bezirk Tübingen-Rottenburg zum Abgeordneten für die Nationalversammlung gewählt. Er nahm in der Paulskirche, wo das erste deutsche Parlament tagte, seinen Sitz auf der linken Seite des linken Centrums und stimmte auch meist mit der Linken. Bei der Wahl des Reichsverwesers am 27. Juni 1848 wollte es der Zufall, daß Uhland zuletzt seine Stimme abgab. Als der Vorsitzende als Ergebniß der Abstimmung die Wahl des Erzherzogs Johann von Oesterreich zum deutschen Reichsverweser verkündete, erscholl aus der Versammlung und von den Galerien ein dreimaliges weithinschallendes Lebehoch, alle Glocken läuteten und die Kanonen donnerten ihre Freudenschüsse. Uhland hatte nicht für den Erzherzog, sondern für Heinrich von Gagern gestimmt; er war im republikanischen Sinne für eine periodische Wahl des Reichsoberhaupts. Hingegen erklärte er sich entschieden gegen einen Ausschluß Oesterreichs aus dem Reichsverband und sprach sich am 26. Oktober in einer denkwürdigen Sitzung u. A. also aus:

»Meine Herren! Wir sind hierher gesandt, die deutsche Einheit zu gründen; wir sind nicht gesandt, um große Gebiete und zahlreiche Bevölkerungen von Deutschland abzulösen, Gebiete, welche durch Jahrhunderte deutsches Reichsland gewesen, welche auch in den trüben Tagen des deutschen Bundes deutsches Bundesland waren. Nur die Fremdherrschaft, nur die Zeit der tiefsten Schmach hat Deutschland zerrissen; jetzt aber soll der Tag der Freiheit, der Tag der Ehre aufgehen und jetzt steht es uns nicht an, mit eigenen Händen das Vaterland zu verstümmeln. – – Man hat wohl gesagt: Oesterreich hat den großen providentiellen Beruf, nach dem Osten hin mächtig zu sein, nach dem Osten Aufklärung und Gesittung zu tragen. Aber wie kann das deutsche Oesterreich Macht üben, wenn es selbst überwältigt ist? – Mag immerhin Oesterreich den Beruf haben, eine Laterne für den Osten zu sein, es hat einen näheren, höheren Beruf: eine Pulsader zu sein im Herzen Deutschlands. – Man kann für die Verschiebung anführen, daß gegenwärtig in Oesterreich große Gährung herrsche. Ich glaube nicht, daß dieser Grund stichhaltig ist: diejenigen Beschlüsse sind immer die besten, wahrhaftig praktischen, die an der brennenden Sachlage angezündet sind. Eben weil es gährt, müssen wir die Form bereit halten, in die das siedende Metall sich ergießen kann, damit die blanke, unverstümmelte, hochwüchsige Germania aus der Grube steige.«

Und in der Rede am 22. Jan. 1849, wo er sich für eine Wahl des Reichsoberhauptes auf 6 Jahre erklärte und entschieden hervorhob, daß die Wurzel des deutschen Staatslebens eine demokratische sein müsse, äußerte er sich abermals mit Bezug auf den Ausschluß Oesterreichs:

»Eine wahre Einigung muß alle deutsche Ländergebiete umfassen. Das ist eine stümperhafte Einheit, die ein Dritttheil der deutschen Länder außerhalb der deutschen Einigung läßt. Daß es schwierig ist, Oesterreich mit dem übrigen Deutschland zu vereinigen, wissen wir Alle; aber es scheint, Manche nehmen es auch zu leicht, auf Oesterreich zu verzichten. Manchmal, wenn in diesem Saale österreichische Abgeordnete sprachen und gar nicht in meinem Sinne redeten, war mir doch, als ob ich eine Stimme von den Tyroler Bergen vernähme und das Adriatische Meer rauschen hörte. Wie verengt sich unser Gesichtskreis, wenn Oesterreich von uns ausgeschieden ist. Die westlichen Hochgebirge weichen zurück, die volle und breite Donau spiegelt nicht mehr deutsche Ufer. – – Zum Schluß, meine Herren, verwerfen Sie die Erblichkeit, schaffen Sie keinen herrschenden Einzelstaat, stoßen Sie Oesterreich nicht ab, retten Sie das Wahlrecht, dieses kostbare Volksrecht. Glauben Sie, meine Herren, es wird kein Haupt über Deutschland leuchten, das nicht mit einem vollen Tropfen demokratischen Oels gesalbt ist.«

Das war nun freilich nur die ideale Ansicht eines treuen deutschen Gemüths. Uhlands Stimme ist nicht durchgedrungen und es ist anders gekommen, als Uhland und viele Patrioten dachten; aber war es auch zunächst nur ein schöner Traum, – etwas Prophetisches lag doch darin. Mag die Gegenwart zu widersprechen scheinen, die Zukunft wird darthun, daß Uhland in zwei Forderungen Recht hatte: »Eine wahre Einigung muß alle deutsche Ländergebiete umfassen« und – »das Haupt Deutschlands muß mit einem vollen Tropfen demokratischen Oels gesalbt sein.«

Bei der Kaiserwahl am 28. März erklärte Uhland: »Ich wähle nicht.« Nachdem der König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die Kaiserkrone zurückgewiesen hatte, von der deutschen Nationalversammlung keine Einigung des großen deutschen Vaterlandes erzielt worden war und Viele ihr Mandat freiwillig niederlegten, stimmte er gegen ein Rumpfparlament, das in Stuttgart seine Sitzungen fortsetzen sollte. Doch sein Antrag ging auch hier nicht durch. Uhland hätte nun den triftigsten Grund gehabt, sich von der ohnehin macht- und trostlosen Versammlung ganz zu trennen; aber er wollte trotz der damit verbundenen Gefahr treu ausharren bis an's Ende und ging mit nach Stuttgart. Das Schicksal des in der württembergischen Hauptstadt seine Sitzungen fortsetzenden Parlaments war vorauszusehen; der Minister drohete, er werde die Abgeordneten mit Waffengewalt auseinander treiben lassen, wenn sie nach dieser erhaltenen Weisung noch eine Sitzung halten würden. Die Mitglieder der Nationalversammlung aber beschlossen, die Gewalt über sich ergehen zu lassen; Uhlans selber war dafür und fand sich um 3 Uhr Nachmittags im Hotel Marquardt ein, von wo aus der Zug der Abgeordneten nach dem Sitzungssaale angetreten wurde. Er stellte sich dem Präsidenten Löwe zur Seite und begann, mit Schott ihn in die Mitte nehmend, den Zug, der sich durch die Langestraße nach dem Reithause bewegte. Am oberen Ende derselben war quer über die Straße Infanterie aufgestellt, hinter dem Reithaus auf der Hohenstraße hielt Kavallerie. Ein Civilkommissär mit einer über die Schulter geworfenen weißen Schärpe trat vor die Reihen des Fußvolks und erklärte den Ankommenden, daß keine Sitzung gehalten werden dürfe; dann ging er schnell hinter die Fronte zurück. Der Präsident Löwe forderte die Soldaten auf, ihm, dem Vorsitzenden der Reichsversammlung, Raum zu geben. Kaum aber begann er zu sprechen, so wirbelten die Trommeln, und als er zum zweiten Male sprechen wollte, übertäubte abermals der Trommelschlag seine Worte. Da die Abgeordneten nicht von der Stelle wichen, erhielten die Soldaten Befehl zum Vorrücken, zugleich schwenkten die Reiter ein und nun wurden die Hartnäckigen rechts und links zur Seite gedrängt, Uhlanden wurde der Hut vom Kopfe gestoßen, doch verwundet ward keiner.

Noch eine traurige Enttäuschung sollte er 1859 erleben. Sardinien im Bunde mit Frankreich schickte sich an, über Oesterreich herzufallen; er war kein Gegner der italienischen Freiheit, fühlte aber richtig, daß, wenn man jetzt das immer mehr um sich greifende Frankreich gewähren lasse, der Kampf gegen dasselbe immer schwieriger werde. Die deutsche Nation blieb aber in ihrem Handeln gelähmt. Im November desselben Jahres war die Feier des hundertjährigen Geburtstages seines großen Landsmanns Schiller. Der 72jährige Greis zog rüstig nach dem Stuttgarter Schillerfeste und brachte bei dem Festmahl einen schönen Toast auf Schiller aus, der an des großen Dichters unsterbliches Gedicht »die Glocke« anknüpfte. »Er hat,« sagte er unter Anderem, »die Glocke zum Symbol einer umfassenden, dichterisch-sittlichen Weltanschauung erkoren. Eine große, weit hallende Glocke ist Schillers ganze Poesie. Der Dichter hat gleichwohl nicht das Haupt emporgeworfen. Im Augenblick, da die blühenden Töchter der Stadt den Fuß der Säule bekränzten, sahen wir das edle gebeugte Haupt vom hervortretenden Sonnenschein beleuchtet. Ueber Länder und Meere tönt heute die Festglocke der Schillerfeier. Auch jenseits des Ozeans werden Deutsche, die nun seit zehn Jahren in der Verbannung leben, von einer heftig erregten Zeit her, in welcher selbst die Edelsten nicht auf festem Boden standen, diesen Laut vernehmen, mit schmerzlicher Erinnerung und doch mit freudigem Stolz auf den Gewaltigen aus dem Heimathlande. – – ›Heil'ge Ordnung, Himmelstochter‹, spricht der Meister des Glockengusses; zu der heil'gen Ordnung aber zählt er das frohbewegte Leben › in der Freiheit heil'gem Schutze‹. Ertönen wird der Glockenruf in die Zerrissenheit des deutschen Gesammtvaterlandes, in dessen klaffende Wunde wir eben erst tief hinabblickten. ›Concordia soll ihr Name sein‹: Einigung der Herzen, in Schillers Sinne gewiß: Eintracht frischer thatkräftiger redlicher deutscher Herzen. Concordia schalle hoch!«

Uhland ist glücklich zu preisen, daß er nicht mehr das Jahr 1866, das Jahr unseligen Bruderzwistes, das Jahr des blutigen Bürgerkrieges erlebte. Hätte er es erlebt, so würde er jedoch seine Ansicht über Oesterreich geändert und Deutschland weniger aus der Vogelperspektive betrachtet haben.

Er feierte noch frisch und munter sein fünfzigjähriges Doktor-Jubiläum (5. April 1860) und unternahm noch im September des folgenden Jahres die gewohnte Reise an den Bodensee und badete auch bei kühlem Wetter. Er hatte sich so abgehärtet, daß er an einem kalten, unfreundlichen Morgen dennoch baden wollte, aber die Badfrau nicht fand. Nachmittags machte er ihr Vorwürfe über ihr Ausbleiben, erhielt jedoch die Antwort: »Wer wird denn auch bei 11 Grad im See baden, und vollends ein so alter Herr, wie Sie!« Er machte in demselben Herbst noch einen Ausflug an den Wallenstädter-See und besuchte auf der Rückreise seines Freundes Laßberg Grab in Meersburg. Am Schluß des Jahres geleitete er seinen Schwager, den Staatsrath Roser in Stuttgart, mit dem ihn die innigste Freundschaft verband, zu Grabe, und am 25. Febr. des folgenden Jahres (1862) starb sein alter Freund Kerner in Weinsberg und bei strengster Winterkälte geleitete er auch diesen zu seiner Ruhestätte. Einige Tage nach seiner Rückkehr mußte er abermals einem alten Jugendfreund, dem in Tübingen verstorbenen Baur, Professor der Anatomie, die letzte Ehre erweisen. Nun aber stellte sich Heiserkeit ein, der Vorbote ernsten Unwohlseins. Der 26. April, sein 75jähriger Geburtstag, ward in allen deutschen Gauen besonders festlich gefeiert, von allen Seiten trafen glückwünschende Telegramme und Liebeszeichen ein; aber Uhland lag still in seinem Bett und schlummerte öfters ein. Doch konnte er zu Tisch aufstehen und mit den Pflegesöhnen eine gemüthliche Stunde zusammen sein. Da ward ihm noch eine Geburtstagsgabe, die ihn sichtlich erheiterte und rührte. Aus einer oberschwäbischen Stadt war ein Briefchen angelangt – nach der Handschrift zu schließen, von weiblicher Hand –, in welchem ein Goldstück lag. Die Verfasserin des Briefes erzählte, wie sie am letzten Feste der Verkündigung Mariä (25. März) nach der Messe spazieren gegangen sei und zu dem blauen, sonnenhellen Frühlingshimmel aufgeschauet habe. Da wären ihr die herrlichen Verse von Uhlands »Waller« in den Sinn gekommen und sie hätte so recht lebhaft der Worte gedacht:

Blieb der goldne Himmel offen,
Als empor die Heil'ge fuhr?
Blüht noch auf den Rosenwolken
Ihres Fußes lichte Spur?

daß sie, »froh in dem Bewußtsein, daß die Reine, die der Himmel mit seinen Gnaden überschüttet, solch' einen würdigen Sänger gefunden, den Entschluß gefaßt habe, demselben zu seinem 75. Geburtsfeste den Tribut ihrer Verehrung darzubringen.« »Trinken Sie dafür,« heißt es ganz naiv, »eine Flasche des allerbesten Weins, der Ihr Herz mit Himmelswonne laben möge.« Wir wollen das Geld in's Armenhaus schicken! meinte Uhlands Gattin. »Zweimal so viel,« entgegnete der greise Dichter, »aber der Dukaten gehört mir und der freundlichen Geberin muß ihr Wille geschehen.« Dieses so treuherzig dargebrachte Geschenk mußte aber auch dem Dichter wohler thun, als die glänzendsten Ehrenbezeigungen. Die hohen Orden, mit denen ihn zwei gekrönte Häupter, die Könige von Preußen und von Baiern, schmücken wollten, hatte er mit fast eigensinniger Entschiedenheit ausgeschlagen, aber diese aus dem Volksherzen kommende Huldigung erquickte ihn.

Noch unternahm der Greis eine Badereise nach Jaxtfeld, doch das Bad blieb ohne Wirkung; die schlaflosen Nächte mehrten sich und es entwickelte sich ein Gehirnleiden, das öfters das Bewußtsein trübte. Den nicht geringen Athembeschwerden, welche der Kranke mit gottergebener Geduld ertrug, machte der Tod, der am 13. November Abends 9 Uhr erfolgte, ein Ende.

Nach den Reden, die der Dekan Georgii, der Oberjustizrath Sick (Stadtschultheiß von Stuttgart) und der 76jährige Busenfreund Uhlands, der Dichter Karl Mayer, gehalten hatten, trugen auch Ludwig Seeger und J. G. Fischer ihre Trauergedichte vor. Fischers schönes Dichterwort möge auch die biographische Skizze schließen:

Am Grabe Ludwig Uhlands.

Heilige Stätten sind es, wo der Fußtritt
Hoher Menschen gewandelt; aber eine
Ist die heiligste: wo um ihre Asche
Dankend die Nation sich sammelt;

Wo in den Markstein, welcher eines großen
Lebens Grenze beschließt, die Weltgeschichte
Einen Namen gegraben, dessengleichen
Nur in Jahrhunderten Einer aufsteht.

Heute auch dir, du sonnenheller Name,
Wies die Stätte der Geist, der dich gesendet,
Deinem Volke zu zeigen, welch ein Segen
Eines erprobten Mannes Kraft ist.

Und wir empfinden ganz den Meistersegen
Mit den Tausenden allen, welche ferne
Dieses seltenen Tags mit uns gedenken,
Dankend wie wir dem selt'nen Todten.

Wenige Augenblicke – und wir scheiden,
Deinem Schlummer allein dich überlassend;
Aber deines begeisterten Volkes Herz wird
Stärkung an deinem Grabe suchen.

Weinende Jungfrau'n, denen deine Harfe
Goldne Lieder in's Herz klang, werden kommen,
Die Gelübde zu lösen, die sie deiner
Frauengestalten Vorbild schwuren.

Aber an Euch, ihr deutschen Musensöhne,
Die die Fackel vor Uhlands Namen schwingen,
Wird sein Mahnen ergehn und vom Pokal Euch
Rufen zum ernsten Männerkampfe.

Jünger des Lied's, auch ihr, ihr kommt und lernet,
Welche Lieder und Thaten eurem Volke
Perlen gelten, die echten Werth's gewiß sind;
Kommet und lernt's an diesem Grabe.

Drängen doch die sich selbst zur Fahne, denen
Keine Ader von seinem Geist geworden,
Weil sie hörten, wie hell der Schild erglänze
Ueber dem Grab des Patrioten.

Endlich, wenn du erscheinst, du Geist der Zukunft,
Suchst du unter den Namen, die für Deutschlands
Sieg und Ehre im Vordertreffen stritten,
Und du wirst rufen: Ludwig Uhland!

Die zahlreiche Trauerversammlung ward tief ergriffen, als das Echo die letzten Worte des begeisterten Redners wiederholte und wie zur Bestätigung und Bekräftigung des Gesprochenen rief: Ludwig Uhland!


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